Bosnisch (bosanski jezik) ist eine Sprachvarietät aus dem südslawischen Zweig der slawischen Sprachen, basierend auf einem
štokavischen Dialekt.
Bosnisch wird von ca. 2,5 Millionen Menschen in Bosnien und Herzegowina, wo es eine der drei Amtssprachen ist, als Muttersprache der
Bosniaken gesprochen. Daneben wird es auch in Serbien und Montenegro von etwa 245.000 Menschen gesprochen, in Westeuropa und den USA
von etwa 150.000 Auswanderern, sowie von mehreren hunderttausend Aussiedlern in der Türkei. Die Sprache wird inzwischen fast
ausschließlich mit dem lateinischen Alphabet geschrieben, nur noch sehr selten wird das kyrillische Alphabet verwendet. Die
Bezeichnung "Bosnisch" ist im ISO-639-Standard festgelegt.
Sowohl grammatikalischen Kriterien zufolge als auch im Wortschatz ist die bosnische Sprache der kroatischen und serbischen Sprache so ähnlich, dass sich alle Bosnischsprecher mühelos mit Sprechern des Serbischen und Kroatischen verständigen können. Aufgrund dessen ist umstritten, ob Bosnisch eine eigenständige Sprache oder eine nationale Varietät des Serbokroatischen ist. Aufgrund der gemeinsamen Geschichte von Bosnien, Kroatien und Serbien ist die Auffassung bezüglich der Eigenständigkeit der Sprache stets auch eine politisch gefärbte und wird daher abhängig vom politischen Standpunkt unterschiedlich bewertet.
Das Bosnische hat im Laufe seiner geschichtlichen Entwicklung neben lateinischer und kyrillischer Schrift auch verschiedene andere Alphabete
verwendet: Bosančica (eine spezielle kyrillische Schrift, die vor allem in Bosnien-Herzegowina, aber auch in Dalmatien verwendet wurde),
Begovica (die Schrift des Adels) und Arebica (eine Schrift, die stark an die arabische Schrift angelehnt war).
Bosnisch ist, vom Sprachgebrauch her, zwar linguistisch homogener als Kroatisch oder Serbisch, jedoch wurde es während des 19.
Jahrhunderts, aus geschichtlichen Gründen, versäumt, eine Standardisierung der Sprache durchzuführen. Das erste bosnische
Wörterbuch war ein bosnisch-türkisches Wörterbuch von Muhamed Hevaji Uskufi aus dem Jahr 1631.
Während die Arbeit Uskufis ein Einzelstück blieb, wurden beispielsweise kroatische Wörterbücher regelmäßig
erweitert und neu aufgelegt. Dies hatte vor allem folgende Ursachen:
- Die bosniakische Elite und viele Schriftsteller bevorzugten Arabisch, Türkisch oder Persisch
als Literatursprache.
- Die bosniakische nationale Identität wurde im Vergleich zur kroatischen oder serbischen
relativ spät entwickelt und versuchte dann auch nicht, sich über die Sprache zu
differenzieren.
Ursache für den letzteren Punkt dürfte die Tatsache sein, dass Bosnien und Herzegowina lange Zeit abwechselnd mal zum Okzident,
mal zum Orient gehörten. Das erklärt auch die Herkunft der arabischen Wörter, die in einer slawischen Sprache sonst eher
selten anzutreffen sind. Da der Orient im Mittelalter kulturell und intellektuell weiter vorangeschritten war als der Okzident, verwundert
es nicht, dass die Elite orientalische Sprachen bevorzugte - stammte sie doch größtenteils aus eben jenem Raum.
Die Kodifizierungen der bosnischen Sprache während des 19. und 20. Jahrhunderts wurden meist außerhalb Bosnien-Herzegowinas
entwickelt. Zum Jahrhundertwechsel kam es zur sogenannten "Bosnischen Renaissance", auf der die bosnische Sprache bis heute aufbaut: Es
wurden vor allem Begriffe normiert, die eher der kroatischen als der serbischen Form ähnelten, das heißt, es wurde die
westlich-štokavisch-ijekavische Form mit lateinischer Schrift als Regel festgelegt, wobei aber auch viele spezifisch bosnische Begriffe
eingebaut wurden. Die wichtigsten bosnischen Autoren dieser Zeit, die zur Normierung der Sprache beigetragen haben, waren Safvet-beg
Bašagić, Musa Ćazim Ćatić und Edhem Mulabdić.
Während der Periode des sozialistischen Jugoslawiens wurde nur der Begriff Serbokroatisch verwendet. Dies war auf das panslawistische
Projekt eines gemeinsamen Staates und einer gemeinsamen Sprache aller Südslawen abgerichtet. Innerhalb des Serbokroatischen
überwog jedoch das Serbische, wobei die lateinische Schrift beibehalten wurde.
Seit der Trennung Jugoslawiens in verschiedene Nationalstaaten werden die vorher als Varianten bezeichneten Formen als verschiedene Sprachen
anerkannt. Im Bosnischen wurden großteils die Regeln aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ("Bosnischen Renaissance") wiederhergestellt.
Das Bosnische zeichnet sich gegenüber dem Serbischen und Kroatischen vor allem durch eine etwas höhere Anzahl von Fremd- und
Lehnwörtern aus dem Türkischen, Arabischen und Persischen (Turzismen) aus. Außerdem ist die Betonung des Buchstaben 'h'
stärker ausgeprägt als in den anderen beiden südslawischen Sprachen.
Orthographie
Die bosnische Rechtschreibung ist großteils ähnlich der kroatischen oder der serbischen. Ein häufiger vorkommender Unterschied
ist bei der Verwendung der Zukunfts-Form (Futur) gegeben. Während im Serbischen der Infinitiv mit dem Hilfswort "ću" verschmolzen
wird, werden im Bosnischen und Kroatischen diese Wörter separat geschrieben, z. B.
- Uradit ću to. (Bosnisch/Kroatisch)
- Uradiću to. (Serbisch)
Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass fremdsprachliche Eigennamen im Bosnischen mal in der originalen, unveränderten Schreibweise
wiedergegeben (z. B. <New York>) und mal transkribiert werden (z. B. <Minhen>), während diese Wörter im Serbischen
immer transkribiert (<Nju Jork>) und im Kroatischen immer im Original übernommen werden (<München>).
Die bosnische Sprache verwendet (wie auch großteils Kroatisch) den Ijekavischen Dialekt, während in Serbien der Ekavische Dialekt
gebräuchlich ist, z. B.:
- Wind: vjetar (Bosnisch/Kroatisch) - vetar (Serbisch)
- Milch: mlijeko (Bosnisch/Kroatisch) mleko (Serbisch)
- wollen: htjeti (Bosnisch/Kroatisch) - hteti (Serbisch)
- Bucht: zaljev (Bosnisch/Kroatisch) - zaliv (Serbisch)
- beeinflussen: utjecati (Bosnisch/Kroatisch) - uticati (Serbisch)
Daneben wird in der Bosnischen Sprache stärker der Konsonant 'h' betont, z. B.:
- leicht: lahko (Bosnisch) - lako (Kroatisch/Serbisch)
- weich: mehko (Bosnisch) - meko (Kroatisch/Serbisch)
- Kaffee: kahva (Bosnisch) - kava (Kroatisch) - kafa (international)
- Tabak: duhan (Bosnisch/Kroatisch) - duvan (Serbisch)
- kochen: kuhati (Bosnisch/Kroatisch) - kuvati (Serbisch)
- trocken: suho (Bosnisch/Kroatisch) - suvo (Serbisch)
Bei der Verwendung von internationalen Wörtern gibt es einige Unterschiede, z. B.:
- organisieren: organizirati (Bosnisch/Kroatisch) - organizovati (Serbisch)
- realisieren: realizirati (Bosnisch/Kroatisch) - realizovati (Serbisch)
Einige Wörter sind im Bosnischen - wie auch im Serbischen - grammatikalisch männliches Geschlecht, während sie im Kroatischen
grammatikalisch weiblich sind, z. B.:
- Minute: minut (Bosnisch/Serbisch), minuta (Kroatisch)
- Planet: planeta (Bosnisch/ Serbisch), planet (Kroatisch)
Weiterhin gibt es weitere morphologische Unterschiede, die sich systematisch schwer einordnen lassen. Hier einige Beispiele:
- Punkt: tačka (Bosnisch/Serbisch) - točka (Kroatisch)
- richtig: tačno (Bosnisch/Serbisch) - točno (Kroatisch)
- Student: student (in allen Sprachen gleich), jedoch
- Studentin: studentica (Bosnisch/Kroatisch), studentkinja (Serbisch)
- Professor (männlich): profesor (in allen Sprachen gleich), jedoch
- Professor (weiblich): profesorica (Bosnisch/Kroatisch), profesorka (Serbisch)
- Europa: Evropa (Bosnisch/Serbisch) - Europa (Kroatisch), jedoch
- Euro: euro (Bosnisch/Kroatisch) - evro (Serbisch)
Es gibt einige Vokabeln im Bosnischen, die sich grundsätzlich von den kroatischen oder serbischen Wörtern unterscheiden. Andererseits
gibt es Vokabeln, die entweder die kroatische oder die serbische Form bevorzugen. Es existiert keine erlernbare Regel, in welchem Fall die
kroatische und in welchem Fall die serbische Version zu verwenden ist. Dazu im Anschluss noch einige Beispiele:
- Geschichte: historija (Bosnisch) - povijest, historija (Kroatisch) - istorija (Serbisch)
- Uhrmacher: sahadžija (Bosnisch) - urar (Kroatisch) - časovničar oder sajdžija (Serbisch)
- Tisch: sto oder hastal (Bosnisch) - stol oder trpeza (Kroatisch) - sto oder trpeza oder astal
(Serbisch)
- Garten: bašča oder avlija (Bosnisch) - vrt oder bašča (Kroatisch) - bašta (Serbisch)
- Brot: hljeb oder somun (Bosnisch) - kruh (Kroatisch) - hljeb (ijekavisch Serbisch) - hleb
(ekavisch Serbisch)
- Reis: riža (Bosnisch/Kroatisch) - pirinač (Serbisch)
- Spinat: špinat (Bosnisch/Kroatisch) - spanać (Serbisch)
- Karotte/Möhre: mrkva (Bosnisch/Kroatisch) - šargarepa (Serbisch)
- Bohnen: grah oder pasulj (Bosnisch) - grah (Kroatisch) - pasulj (Serbisch)
- Aktiengesellschaft: dioničko društvo (Bosnisch/Kroatisch) - akcionarsko društvo (Serbisch)
- Bahn/Zug: voz (Bosnisch/Serbisch) - vlak (Kroatisch)
- Tausend: hiljada (Bosnisch/Serbisch) - tisuća (Kroatisch)
- Musik: muzika (Bosnisch/Serbisch) - glazba, muzika (Kroatisch)
- Salz: so (Bosnisch/Serbisch) - sol (Kroatisch)
- Pfeffer: biber (Bosnisch/Serbisch) - papar (Kroatisch)
- Seil: kanafa (Bosnisch) - kanap oder kanapa (Serbisch/Kroatisch)
- Käfig: kafez (Bosnisch) - kavez (Serbisch/Kroatisch)
- Fenster: prozor oder pendžer (Bosnisch) - prozor (Serbisch/Kroatisch)
- Großmutter: nana oder nena (Bosnisch) - baka oder baba (Serbisch/Kroatisch)
- Papa (Koseform von Vater): babo (Bosnisch) - tata (Kroatisch/Serbisch)
Monatsnamen im Bosnischen sind ähnlich jenen im Deutschen, dagegen sind kroatische Monatsnamen an altslawische Jahreszeitbezeichnungen
angelehnt. Kroatische Monatsnamen können nach dem Reglement aber als Synonyme verwendet werden, was in der Praxis jedoch selten getan
wird (z. B. Tageszeitungen verwenden beide Monatsbezeichnungen). Im Serbischen sind die Monatsnamen dem Bosnischen weitgehend ähnlich,
bis auf drei Ausnahmen:
- Juni: juni (Bosnisch) - jun (Serbisch)
- Juli: juli (Bosnisch) - jul (Serbisch)
- August: august (Bosnisch) - avgust (Serbisch)
Die Akzentuierung, also die Betonung der Wörter, ist in Bosnien und Herzegowina (aber auch in Kroatien, Serbien und Montenegro) je nach
Region stark ausdifferenziert.
Die Betonung der Wörter ist somit nicht an Sprachen gebunden, seien dies Bosnisch, Kroatisch oder Serbisch, sondern an die
unterschiedlichen Regionen.
Im Kroatischen wird nach modalen Hilfsverben mehrheitlich die Infinitivkonstruktion gewählt, die im Bosnischen und Serbischen oft mit
"da" (dass) umschrieben wird. Im Bosnischen sind aber grundsätzlich jeweils beide Varianten zulässig, z. B.
- Bosnisch/Serbisch: Moram da radim ("Ich muss arbeiten", wörtlich "Ich muss dass ich
arbeite")
- Kroatisch: Moram raditi ("Ich muss arbeiten")
Daneben gibt es in der bosnischen Sprache Unterschiede bei Zahlwörtern:
- Bosnisch (und vorwiegend Kroatisch): četverica muškaraca, Serbisch: četvorica muškaraca
(vier Männer)
- Bosnisch (und vorwiegend Kroatisch): petero djece, Serbisch: petoro dece (fünf Kinder)
Das bosnische Alphabet hat 30 Buchstaben:
a, b, c, č, ć, d, dž, đ, e, f, g, h, i, j, k, l, lj, m, n, nj, o, p, r, s, š, t, u, v, z, ž.
Die Buchstaben q, w, x, y kommen nur in fremdsprachigen Eigennamen vor, was vor allem bei Fremdwörtern auffällt (z. B.
Phönix = feniks, nicht fenix). Die Digraphen dž, lj und nj werden in der alphabetischen Ordnung jeweils als ein einziger Buchstabe
behandelt. Es gibt nur eine sehr geringe Anzahl von Wörtern, in denen diese Zeichengruppen zwei getrennte Laute bezeichnen und deshalb
als zwei Buchstaben behandelt werden müssen (z. B. "nadživjeti" - jemanden überleben).
Die Mehrzahl der Buchstaben werden im Großen und Ganzen wie im Deutschen ausgesprochen.
Buchstabe | Lautschrift | Beschreibung |
---|---|---|
a | /a/ | wie deutsches a |
b | /b/ | immer stimmhaft |
c | /ts/ | immer /ts/, wie deutsches z |
č | /tʃ/ | tsch |
ć | /tɕ/ | ähnlich wie tch oder tj in Brötchen oder tja; oft schwer vom č zu unterscheiden |
d | /d/ | immer stimmhaft |
dž | /dʒ/ | dsch wie in Dschungel |
đ | /dʑ/ | sehr weiches dj, wie in die Magyaren |
e | /ɛ/ | (im Vergleich mit dem Deutschen) immer offen |
f | /f/ | wie deutsches f |
g | /ɡ/ | immer stimmhaft |
h | /x/ | immer hinteres "ach"-H, recht schwache Friktion |
i | /i/ | wie deutsches i |
j | /j/ | oft wie kurzes, unbetontes i ausgesprochen |
k | /k/ | weniger aspiriert als im Deutschen |
l | /l/ | dumpfer (velarer) als im Deutschen; deutsches l wird oft als lj missinterpretiert |
lj | /ʎ/ | zu einem Laut verschmolzen: palataler lateraler Approximant |
m | /m/ | wie deutsches m |
n | /n/ | wie deutsches n |
nj | /ɲ/ | zu einem Laut verschmolzen: stimmhafter palataler Nasal |
o | /ɔ/ | im Vergleich mit dem Deutschen) immer offen |
p | /p/ | weniger aspiriert als im Deutschen |
r | /r/ | gerolltes Zungen-r. Kann auch als vokalisches (silbisches) R eine Silbe bilden und dabei lang oder kurz, betont oder unbetont sein. Beispiel: /kr̩k/ (Krk) |
s | /s/ | immer stimmlos wie deutsches ß |
š | /ʃ/ | sch |
t | /t/ | weniger aspiriert als im Deutschen |
u | /u/ | wie deutsches u |
v | /ʋ/ | immer stimmhaft wie deutsches w |
z | /z/ | stimmhaftes s |
ž | /ʒ/ | stimmhaftes sch |
Grammatikalisch betrachtet hat das Bosnische sieben Fälle (Kasus): Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ, Vokativ, Instrumental und Lokativ. Die Grammatik ist - bis auf wenige Ausnahmen - fast identisch mit jener des Kroatischen und des Serbischen.
Die Bezeichnung "bosnische Sprache" (bosn. bosanski jezik) ist bei Sprachwissenschaftlern sehr umstritten. Einige serbische oder kroatische
Strömungen bevorzugen die Bezeichnung "bosniakische Sprache" ("bošnjački jezik"), weil nach deren Ansicht die Sprache nicht von
allen Bosniern, sondern nur von Bosniaken gesprochen wird, und damit ein Versuch der Minderheitenunterdückung bedeutet. Jedoch entspringen
solche Standpunkte oft politischen und weniger linguistischen Argumentationen.
Einige Sprachexperten wiederum stellen die Existenz der Sprache überhaupt in Frage, vor allem weil in der Sprache die kulturellen Unterschiede
aus politischen Gründen zusammengefasst wurden.
Die Bezeichnung "Bosnisch" ist allerdings international anerkannt und ist im Dayton-Vertrag, sowie in der Verfassung von Bosnien-Herzegowina als
"Bosnisch", und nicht als "Bosniakisch", festgelegt.